Ein Leserbrief
Sehr geehrte Redaktion,
bis vor etwa 2 Jahren haben wir noch in der Region gewohnt, scharf nördlich von Elsdorf. In früheren Studentenzeiten war mir die Bürge noch sehr vertraut. Allein die Zugfahrt von Elsdorf nach Düren war ein Erlebnis wie auf der Trans-Sib. Doch seit gut 15 Jahren haben wir die Restbäume der Bürge nicht mehr aufgesucht. Sie sind kein Wald mehr, sondern ein beklagenswertes Mahnmal und Zeugnis für die auf ewig verlorene Bürge. Der Anblick tut einfach zu weh. Der Zusammenhang ist banal:
Etwa 2006 hat sich Folgendes ereignet: Wir haben mit unseren Kindern einen Spaziergang bis oben auf die Kippe bei Höllen gemacht. Die Kinder hatten ihren Spaß, in der Sandwüste "Sandkasten" zu spielen. Abgesehen davon, dass diese exponierte Lage Ursache für den vielen radioaktiven Feinstaub in Elsdorf und Umgebung ist, trägt sich dieser Sandhaufen wegen der Windströmungs- und Druckverhältnisse besonders stark ab (Stichwort: Bernoulli-Gleichung zur Druck-Konstanz, entdeckt bereits im 18. Jahrhundert). Anschließend sind wir in den Lindenberger Wald Richtung Stetternich hinabgegangen. Während es im 30 Jahre alten "Vorzeige-Rekultivierungswald" der Kippe keinerlei Geräusche gab,-vielleicht hoppelte mal ein Karnickel vorbei- war in dem kleinen Restwald am Lindenberger Hof reges Vogelgezwitscher zu vernehmen.
Darauf unsere damals 5 Jahre alte Tochter: "Papa, warum singen HIER die Vögel, und eben im Wald nicht?"
Wie erklärt man einem fünf Jahre alten Kind die Ökosysteme "Altwald" und "Plantagenwald"? Ich weiss es nicht. Aber ich habe begriffen, dass fünf Jahre alte Kinder mitunter mehr Beobachtungsgabe haben, als offenbar alle Politiker und Konzernmanager in Deutschland zusammen. Und als sie später die Bilder von Stuttgart 21 sah, hat sie sich entrüstet über die Wasserwerfer. "So schöne Bäume, die können doch den Bahnhof wo anders bauen." Kinder können Vieles beim Namen nennen, was uns Erwachsenen irgendwie abhanden gekommen ist.
Auch bei einer Fahradtour von Kaster Richtung Kaiskorb durch das "Rübental" gab es die gleiche Erfahrung: Im Rekulti-Busch des "Rübentals" gab es nichts zu hören, bestenfalls Karnickel zu sehen. Und in der kleinen Restparzelle Altwald "Rübenbusch", dem Standort der mittelalterlichen Siedlung "Safla", die 893 von Normannen verwüstet wurde, im 15. Jh. nur noch aus einem Hof des Ritters Reuver von Wevelinghoven bestand, woher der Name Reuversbusch -> Rübenbusch stammt, genau dort war
munteres Vogelgezwitscher zu hören, außerhalb nirgends. Auch dies fiel den Kindern auf. Den Erwachsenen irgendwie nicht. Ich weiss nicht, weshalb das so ist. Weshalb die dummen Vögel die schöne neue Welt im Rekulti-Wald nicht mögen, sondern lieber in die uralten Bäume ziehen, die schon unsere Großeltern kannten. Und Urgroßeltern. Dabei gibt sich RWE doch sooo viel Mühe, die Stecklinge in Reih und Glied zu setzten. Undankbare Vögel!
Spätere Generationen werden uns nach unseren kulturellen Leistungen bewerten. Nicht nach den Aktienindizees. Wir leisten es uns, ein einmaliges kulturelles Erbe, wie es die Jülicher Börde mit einer für Westeuropa einzigartigen archäologischen und baukulturellen Dichte
darstellt, wo zugleich die besten Ackerböden Europas anzutreffen sind, für ein kurzes "Puff" im Ofen von Frimmersdorf zu vernichten. Für immer und ewig, unumkehrbar. Und genau so wird dereinst das Urteil der Generationen nach uns über dieses Gebaren sein: Vernichtend, verständnislos, kopfschüttelnd.
Ich wünsche daher der Aktion "Ende Gelände" einen großen Erfolg. Der 15. August wurde früher als großer Feiertag begangen, in Bayern ist er es noch heute ein "Himmelfahrtstag" (Mariä Himmelfahrt). Er wurde auf den Feiertag der römischen Göttin Diana gelegt, der Göttin der Jagd. Womit sich der Kreis zur ex-Bürge schließt, dem legendären karolingischen Jagdrevier.
Mit freundlichen Grüßen,
Christian Wiltsch